2. Dezember_Judith Ley

Würden Sie sich kurz vorstellen?

 

Ehrenamtlich engagiere ich mich im Catcallsof.Bonn-Team gegen sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum. Catcalls sind Belästigungen wie übergriffige und herablassende Sprüche, Pfiffe, Anstarren oder exhibitionistische Handlungen. Betroffene senden uns diese Erlebnisse zu und wir schreiben sie mit Kreide an den Stellen auf den Boden, an denen sie passiert sind. Anschließend fotografieren wir die Kreidungen und laden sie, zusammen mit der gesamten Geschichte, die uns die betroffene Person gesendet hat, auf unserem Instagram-Account @Catcallsof.Bonn hoch.

 

So stärken wir die Gruppe der Betroffenen, indem wir ihnen eine Plattform geben. Außerdem machen wir die Stadtgesellschaft auf diesen Missstand aufmerksam und regen zu Austausch, Reflexion und Wandel an.

 

Neben meinem Engagement bin ich Kunsthistorikerin und habe mehrjährige Erfahrungen in der Öffentlichkeitsarbeit im Kultursektor. Aktuell mache ich eine Weiterbildung zur Kulturmanagerin. Ich interessiere mich sehr für intersektionalen Feminismus, die Nachkriegsarchitektur in Bonn und die Kunstgeschichte verschiedener Epochen, insbesondere den polnischen Symbolismus um die Młoda Polska, mit der ich mich seit meiner Masterarbeit befasse. Außerdem engagiere ich mich im Golden Z Club der Zonta-Clubs Bonn für die Rechte von FLINTA*, zum Beispiel bei den „Zonta says No“-Aktionen zur Verhinderung von Gewalt gegen Frauen. Und ich mag es, zwischen all diesen Bereichen zu netzwerken. (Anm. d. Red.: FLINTA* ist eine Abkürzung und steht für Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, trans und agender Personen. Der angehängte Asterisk dient dabei als Platzhalter, um alle nicht-binären Geschlechtsidentitäten mit einzubeziehen.)

 

Was ist spannend für Sie an dem Thema / Engagement / der Initiative, die uns auf Sie hat aufmerksam werden lassen?

 

Sprüche und Vorfälle mit Kreide auf die Straße schreiben – diese Form der Aktion hat ihre Ursprünge in den USA und ist von dort um die Welt gegangen. Bundesweit sind wir mit über 120 Ortsgruppen im Chalkback Deutschland e.V. organisiert. Franziska Peil gründete im Sommer 2020 den Instagram-Account @Catcallsof.Bonn. In dieser Zeit bin ich nach einigen Jahren zurück ins Rheinland gezogen und schnell auf die Kreidungen in der Stadt und dadurch auch auf Instagram aufmerksam geworden. Der aktivistische Aspekt gefiel mir sehr. Bald wurde ich Mitglied im Organisationsteam und das bin ich seither mit großer Leidenschaft.

 

Viele, meist weiblich gelesene Menschen kennen diese übergriffigen Situationen, die häufig so schnell und oft auch leise passieren, dass sie schon vorbei sind, bevor reagiert werden kann. So unvorbereitet es auch passiert – die Betroffenen tragen es häufig lange, manchmal Jahre mit sich herum, sind wütend und fühlen sich erniedrigt. Sie suchen die Schuld bei sich („Warum hatte ich dieses Kleid an?“ oder „Meine Haare hätte ich in meine Kapuze stecken sollen!“) weil dieses patriarchale Denken gesellschaftlich noch immer tief verankert ist. Das wollen wir denormalisieren und verlernen: Es ist niemals die Schuld der Betroffenen! Es lag niemals am Kleid oder am eigenen Körper. Und Catcalling ist auch niemals ein Kompliment – es soll nur der Machtdemonstration dienen.

 

Indem wir diese Catcalls festhalten und der Öffentlichkeit preisgeben, in der es stattgefunden hat, geben wir den Betroffenen diesen Raum zurück. Es ist eine Ermächtigungsgeste. Außerdem regt es zum Austausch über solche Formen der Belästigung an und kann einen Wandel im gesellschaftlichen Denken und Handeln vorantreiben. Beim Kreiden mag ich es, die Reaktionen der Passant:innen zu beobachten – einige bleiben stehen, ein paar fragen nach dem Begriff „Catcall“, manche wollen darüber sprechen und immer wieder kommt ein „Danke, dass ihr das macht!“ – das zeigt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

 

Über die von uns gewählte Aktionsform hinaus engagieren wir uns online und im realen Leben für intersektional-feministische, diverse und klimaaktivistische Themen, zum Beispiel bei Demonstrationen, bei Empowerment-Workshops oder jüngst bei einer eigenen Ausstellung, die ich organisieren durfte. In meiner Geburtsstadt Bonn somit auf die Lage von FLINTA* aufmerksam zu machen und zu einer Verbesserung der Situation beizutragen, erfüllt mich mit Stolz.

 

 Was würden Sie gerne anderen Frauen mitgeben?

 

Ganz im Sinne der Losung „FLINTA* bildet Banden – Ziele sind vorhanden" – werbe ich darum, füreinander einzustehen und (auf-)einander zu achten. Wir können nur gemeinsam einen Umbruch im Kampf gegen patriarchale Strukturen erwirken, wenn wir uns vernetzen und uns gegenseitig stärken. Außerdem ist es sehr wichtig, immer wieder die eigenen Privilegien zu reflektieren, sich zu informieren und weiterzuentwickeln. Man darf nie den Mut verlieren. Und ebenso wichtig sind Pausen. Sie sind essentiell, um Prozesse zu verarbeiten und weiterhin aktiv bleiben zu können. Denn: Wir rufen alle im Chor, aber jede:r muss einmal Luft holen.