20. Dezember_Claudia Barion

Würden Sie sich bitte kurz vorstellen?

Ich bin recht früh Mutter geworden. Möglicherweise, weil auch meine frühe Biographie von Höhen und Tiefen geprägt war. Eine eigene Familie gründen zu können, bedeutet(e) für mich das Glück, aus dem ich bis heute die Kraft schöpfe, zu verwirklichen, was mir wichtig ist!

Erst als meine drei Kinder in der Schule waren, habe ich mit Anfang 30 mein Abitur nachgeholt, dann Psychologie studiert, zwei Therapieausbildungen gemacht und begonnen, freiberuflich als Gutachterin für Familiengerichte sowie als Familienhelferin für Jugendämter zu arbeiten.

Mit meinem persönlichen Erfahrungsschatz und der erworbenen Fachlichkeit, konnte ich mich gut in die oftmals anstrengenden Situationen junger Eltern hineinversetzen. Bei allem Engagement musste ich jedoch realisieren, dass manche Familien derart komplex belastet sind, dass ambulante Hilfe nicht ausreicht, um den Schutz der Kinder sicherzustellen. Manches Mal müssen Verantwortliche der Gerichte und Jugendämter den Eltern nahelegen, in ein vollstationäres Mutter-Kind-Haus zu ziehen, um eine Trennung vom Kind zu vermeiden. In diesem Zusammenhang musste ich realisieren, dass der Mangel an verfügbaren vollstationären Mutter-Kind-Plätzen dazu führte, dass Mütter und Kinder doch getrennt werden mussten. Dieser Umstand weckte in mir die Motivation, ein eigenes Mutter-Kind-Haus aufzubauen.

Durch meine Erfahrung in der ambulanten Familienhilfe mit den so umfassend traumatisierten Familien war mir eine Konzeption für die eigene Einrichtung wichtig, in der PädagogInnen, PsychologInnen und TherapeutInnen Hand in Hand arbeiten, um die jungen Familien bestmöglich auffangen und begleiten zu können.

Mit einem wunderbaren, engagierten und fachlich hochkompetenten Team von inzwischen über 60 Mitarbeitenden, darunter zwei meiner drei Kinder sowie meiner Schwester, bieten wir neben der ambulanten Familienhilfe seit 2011 dreizehn Müttern und deren Kindern ein Zuhause, für die Zeit, die sie benötigen …

Die gemeinnützige Einrichtung „Villa Mamaya“, ein anerkannter freier Träger der Jugendhilfe, ist mein Herzensprojekt, das ich noch lange nicht müde bin, weiterzuentwickeln.

 

Welche Erfahrungen verdanken Sie Ihrem Engagement, das uns auf Sie hat aufmerksam werden lassen?

Junge Frauen, die ich in die Villa Mamaya aufnehme, waren in der Regel bereits als kleine Kinder Gewalt, Verwahrlosung, Entwertung sowie emotionaler Einsamkeit ausgesetzt. Sie haben nie erfahren dürfen, wie sich Geborgenheit anfühlt. Ebenso wie schon ihre eigenen Eltern, haben „meine“ Mütter keine inneren Bilder von „guten Eltern“ sammeln können. Mir ist es somit ein großes Anliegen, dass es den jungen Frauen mit Hilfe der Villa Mamaya gelingt, diese generationsübergreifenden Muster zu durchbrechen.

Menschen, die über Kindheit und Jugendzeit hinweg chronischer emotionaler und/oder physischer Gewalt ausgesetzt waren, die sich nie auf jemanden verlassen konnten, sind zutiefst misstrauisch und haben das Bedürfnis, autonom zu sein. Um sicherzugehen, dass ihnen kein weiteres Leid widerfährt, müssen sie ihre Mitmenschen und ihre Umgebung kontrollieren und sind der tiefen Überzeugung, keine Schwäche zeigen zu dürfen.

Eine große Herausforderung besteht für mich darin, den Müttern und Kindern einen Schutzraum zu bieten, in dem sie ganz behutsam lernen dürfen, zu vertrauen, Hilfe anzunehmen und wertvoll zu sein. Auf diesem Weg benötigen sie Menschen, die fachlich optimal aus- und fortgebildet sind, aber vor allem „ein großes Herz am richtigen Fleck“ haben.

Ein jahrelanger Leidensweg erfordert auch einen zeitintensiven Heilungsprozess, in dem unsere Mütter und Kinder erleben dürfen, dass sie einen Schutzraum haben, dass sie geliebt werden, in dem sie aber auch gefördert und gefordert werden. Dafür erhalten sie ein regelmäßiges therapeutisches Angebot sowie engmaschige Gespräche mit ihren BezugspädagogInnen. Sie lernen in unterschiedlichen Kursen, wie sie ihren Kindern eine sichere Bindung anbieten können, sie werden in ihrer Feinfühligkeit geschult, sie lernen Hobbys kennen und werden in ihrer Selbstfürsorge unterstützt. Nicht zuletzt werden die jungen Frauen unterstützt, ihren Schulabschluss nachzuholen und eine Lebensperspektive zu entwickeln, in der sie sich selbstverantwortlich für sich und ihr Kind erleben dürfen.

Um diese Ziele erreichen zu können, leben die Mütter mit ihren Kindern in kleineren familienähnlichen Gruppen, in die, neben anderen „normalen“ Familienritualen, das Christkind an Weihnachten kleine Geschenke bringt.

In meiner Arbeit fühle ich mich auch dadurch bestärkt, dass Mütter und Kinder, die längst in ihrer eigenen Wohnung leben, mich immer wieder besuchen, um Rat fragen, sich eine Umarmung abholen, von ihren Entwicklungsschritten berichten oder Feste, wie zum Beispiel Weihnachten, mit uns feiern möchten.

 

 

ZONTA: Was würden Sie gerne anderen Frauen mitgeben?

 

Ein afrikanisches Sprichwort besagt: „Es bedarf einer Mutter, ein Kind zu gebären, aber eines ganzen Dorfes, um es groß zu ziehen.“

 

Letztlich ist das der Satz, den ich „meinen“ Müttern gerne vermitteln möchte, und der für mich beinhaltet: „Wir alle brauchen einander und niemand kann alles alleine schaffen,“, „Du darfst Dich geborgen fühlen“, „Du bist ein wertvoller Teil des Ganzen“, „Du hast das Recht, für Dich einzustehen“!

 

Außerdem möchte ich für die Frauen als Vorbild fungieren, wenn sie denken, für die Selbstverwirklichung seien sie (mit Ende 20 oder Mitte dreißig) zu alt oder nicht klug genug. Diese Gedanken sind mir allzu vertraut. Aber auch ich habe meinen Schulabschluss nachgeholt, habe mir eine Familie und ein Netzwerk geschaffen, das an mich glaubt und mich bestärkt! „Du kannst deinen eigenen Weg gehen, der sich für dich richtig anfühlt. Und du darfst dir die Zeit nehmen, die du für deinen Weg benötigst!“